Wir streiken
Wichtige Informationen
Vorab möchte ich mich für Ihr Verständnis bedanken, dass Sie uns für den Streik bereits entgegengebracht haben.
Seit 2007 bin ich Ärztin und das mit voller Leidenschaft. Es ist ein tolles Gefühl Menschen helfen zu können. Das dieser Beruf nicht ohne eine gewisse Wirtschaftlichkeit geht, versteht sich von selbst. Alle Ärzte (eigentlich das ganze medizinische Personal der ambulanten und stationären Versorgung) lernen unter hohem Druck Entscheidungen über Ihr Leben zu treffen. Oft bleibt keine Zeit lange abzuwägen. Aber so ist es und langes Training macht dies auch möglich.
Die meisten in diesen Berufen erwarten in erster Linie keinen überdurchschnittlichen Reichtum, auch gehen viel Überstunden unter. Aber es wird selten geklagt.
Während der Hoch-Zeit der Coronapandemie haben wir uns der Krankheit gestellt und waren für Sie so gut es ging da. Leider standen wir oft vor vielen neuen Regelungen und bürokratischen Hürden. Zudem kam genau in dieser Zeit die Einführung der Telematik. Ich finde die Idee sehr gut, da wir auch im medizinischen Bereich eine Digitalisierung brauchen. Das Problem ist nur, dass die Organisation zu ungeplant war und uns ohne vollständige technische/digitale Sicherheit aufgezwungen wurde. Aber auch dieser doppelten Belastung haben wir uns gestellt.
Also warum jetzt doch der Streik? Für mich gibt es verschiedene Gründe.
Die Neupatientenregelung ist seit 2023 weggefallen:
Das die Patientenneuregelung für die Fachärzte jetzt wegfällt, verschärft die ambulante und demnach auch die Behandlung in den Krankenhäusern. Wenn wir Sie ambulant nicht rechtzeitig und gut versorgen, müssen Sie als Patient ggf. ins Krankenhaus. Die Überlastung der Krankenhäuser bekommen Sie als Patient immer mehr zu spüren. Aber ohne schnelle Termine bei den Fachärzten werden immer mehr Patienten ins Krankenhaus müssen. Es gibt zwar den Hausarztvermittlungsfall (somit müssten wir uns um den Termin beim Facharzt kümmern) aber weder ich noch mein Personal haben diese zusätzliche Zeit sich an telefonische Warteschlangen zu hängen. Zwar versuchen wir durch eine gute Vernetzung der Sache gerecht zu werden, aber es führt trotz allem dem zu einer Mehrbelastung.
Ärztemangel:
Das Problem ist, es gibt zu wenig Personal (nicht nur Ärzte). Es fängt schon beim Studium an: Es ist kein 1er Abitur nötig um ein toller und empathischer Arzt zu werden. Oder haben Sie mich aufgrund meiner Abi-Note gewählt? Ich hoffe nicht.
Die Arbeitsbelastung in den Krankenhäusern ist aufgrund der Arbeitsgeschwindigkeit gepaart mit einer immensen Verantwortung zu hoch. So einen Beruf überlegt man sich zweimal. Es fehlt an einer guten Ausbildung, in der man sich für die jungen Ärzte wirklich Zeit nehmen kann, da auch die Zeit der auszubildenden Ärzte aufgrund des Arbeitsaufkommen zu knapp ist.
Wenn man sich dann als Arzt selbstständig machen möchte, gibt es sehr viele Regelungen, Paragraphen, Richtlinien, die man alle im Kopf haben sollte: Kennen Sie z.B. die Abrechnungsrichtlinien, die Heilmittelrichtlinien und die Arzneimittelrichtlinien? Laut Krankenkassen können wir Ärzte alles aufschreiben, was wir als medizinisch notwendig sehen. Leider verdrängen die Kassen gerne die Richtlinien. Wir dürfen bestimmte Medikamente nicht aufschreiben, weil es nicht der Richtlinie entspricht. Das bedeutet z.B. schreibe ich Ihnen Vitamin D bei einem Vitamin D Mangel auf ein Kassenrezept, dann darf ich bei einer Prüfung nach einem paar Jahren diese Kosten über meine Praxis an Ihre Krankenkasse zurückbezahlen.
Das schreckt unter anderem junge Kollegen ab sich selbstständig zu machen. Bei der hohen Anzahl an älteren Kollegen bin ich mal gespannt, wer diese irgendwann einmal ersetzen wird. Es ist ja jetzt schon schwer einen Termin zu bekommen.
Kosten:
Apropos Kosten… wussten Sie, dass ich für einen Ultraschall der Schilddrüse 8,04 Euro brutto bekomme und für den Ultraschall vom Bauch 16,43 Euro? Sich ein Ultraschallgerät zu kaufen ist für eine Praxis ein Minusgeschäft. Die Ultraschalluntersuchungen werden den meisten Ärzten noch nicht einmal komplett vergütet, da wir im Durchschnitt zu anderen Ärzten zu viele machen. Bei unserem Zeitmangel wären wir sicherlich über jeden Ultraschall der nicht nötig ist dankbar.
Pro Patienten bekommen wir einmalig Quartal eine altersgestaffelte Auszahlung zwischen 15-22 Euro. Jede weitere Vorstellung von Ihnen wird zunächst nicht bezahlt. Es gibt weitere Abrechnungsziffern, die wir im Blick haben sollen und dann auch ggf. abrechnen können. Voraussetzung ist, dass diese nach den Bestimmungen des einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) angesetzt werden.
Weiteres Geld verdienen wir über die privat versicherten Patienten mit der Gebührenordnung für Ärzte (die GOÄ) oder die individuellen Gesundheitsleistungen (IgeL). Leider erfolgte GoÄ seit 1996 keine signifikante Anpassung mehr.
Zeit außerhalb der Sprechstunde:
Gehe ich mittags zum Golfen? Nein, mittags stehen Hausbesuche- und Heimbesuche (für 23,88 Euro brutto), Anträge, Befundungen, Laborauswertungen und Rückrufe sowie die Beantwortung von E-Mails an.
Ärztlicher Bereitschaftsdienst (ÄBD):
Das ist ein schwieriges Thema. Finanziert wird dieser von den niedergelassenen Ärzten (egal ob Augenarzt, Laborarzt etc.). Das bedeutet, ich bekomme von meiner Vergütung automatisch Geld für den ÄBD abgezogen und kann durch Dienste beim ÄBD mir das Geld wieder verdienen. Das bedeutet dann leider auch, dass Sie auch ggf. einen Augenarzt antreffen. Anders ist es leider nicht möglich (kann aber bei einer akuten Augenverletzung ganz hilfreich sein 😊)
Also warum streiken wir als Praxis:
Die Medizin muss sich wieder lohnen! Die ambulante Versorgung muss gestärkt und attraktiver werden. Das fängt mit dem Studium an und betrifft das gesamte medizinische Personal.
Den jungen Ärzten muss die Angst vor der Selbstständigkeit genommen werden. Durch zu viele Regelungen, Regressandrohungen und immer neuen Auflagen haben viele junge Ärzte Angst die Verantwortung für eine Selbstständigkeit zu übernehmen. Die Vorstellung beim Arzt und die folgenden Untersuchungen müssen ausreichend vergütet werden. Jeder Termin beim Arzt ist eine Leistung und gerade im Hausarztbereich extrem wichtig. Die Anreize für Fachärzte neue Patienten aufzunehmen müssen bestehen bleiben.
Leider habe ich auch keine Lösung X für das Problem, aber wir sehen, wie rapide die ambulante Versorgung und auch die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern schlechter wird. Letztendlich wird es die Aufgabe der Politik sein eine Lösung zu finden, so wie es meine Aufgabe ist für Sie so gut es geht da zu sein.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben so viel Text zu lesen!
Ihre Ärztin
Dr. med. Heike Radu